Am 16.02.2011 fand die neuerliche Sitzung des Kreistages Barnim statt. Die Tagung wurde zu einer Lehrstunde, wie Demokratiefeindlichkeit und Menschenverachtung zu angeblich seriöser Kommunalpolitik umgelogen werden können. In noch nie da gewesener Brutalität wurden von Vertretern anderer Fraktionen Versuche der Beschneidung des freien Mandats unternommen.
Anfragen von Johannes Madeja zur Polizeistruktur
In einem ausführlichen Fragekatalog wollte unser Gruppenmitglied Johannes Madeja wissen, wie viele Barnimer Polizisten außerhalb Brandenburgs für welche Tätigkeiten (etwa Stuttgart 21, Castortransporte) eingesetzt werden und wie der Landrat den Bedarf abschätzt. Noch bevor der zuständige Dezernent zur Beantwortung ansetzen konnte, spurtete eine Abgeordnete der Linken ans Mikrofon und forderte, derartige Fragen überhaupt nicht zu verlesen. Dieser „Bitte“ wurde zwar formal nicht entsprochen, aber praktisch erwies sich die Kreisverwaltung als willfähriger Vollstrecker. Sie antwortete kurz und bündig: „Nicht zuständig.“ Eine bemerkenswerte Antwort, wenn man sich vor Augen führt, dass es der Landrat war, der den Kreistag um Unterstützung bat, als es darum ging, den Erhalt des Eberswalder Polizeipräsidiums vom Land einzufordern. Damals wusste er, dass unbedingt alle Polizeikräfte im Landkreis benötigt würden, weil dies die Sicherheit der Bevölkerung erfordere. Obwohl der Landkreis nicht zuständig war, kämpften alle Fraktionen (zu Recht) für eine entsprechende Resolution. Es stimmt nachdenklich, dass bei konkreten Fragen eine Antwort nicht mehr möglich sein soll.
Weitere Anfragen von Johannes Madeja
Des Weiteren stellte Johannes Madeja mehrere Anfragen zum ZWA Eberswalde, zur Unterstützung von Bürgerinnen und Bürgern mit Migrationsgeschichte und zur B 167. Offenbar waren die Parteipolitiker von derlei Detailinteresse genervt und stöhnten, dass Madeja mit seinen Fragen die Fragestunde blockiere. Während in den allermeisten Kreistagssitzungen der vergangenen Monate die Linke die Fragestunde dominierte und hierfür kaum kritisiert wurde, suchten die selbsternannten Demokraten nach Wegen, nunmehr zweierlei Maß anlegen zu können. Während ihre Fragen regelmäßig mit dem Prädikat des Wissensdurstes und der Wissenschaftlichkeit bemäntelt werden, werden kritische Anfragen unabhängiger Mandatsträger als Blockade diffamiert. Leider bedient auch die Märkische Oderzeitung diesen Tonfall und stellt unseren qualifizierten Fragekatalog ungerecht dar.
Erhöhung der Fraktionsgelder
Trotz der äußerst kritischen Berichterstattung der Märkischen Oderzeitung zur geplanten Erhöhung der Fraktionsgelder, blieben die Fraktionen von SPD, CDU, Linke und FDP bei ihrem Vorschlag. In meinem Redebeitrag wies ich darauf hin, dass es eine Heuchelei ist, die 12%-ige Erhöhung der Zuwendungen mit gestiegenen Kosten zu begründen. Zwar ist es richtig, dass Miet- und Bürokosten gestiegen sind, aber schon jetzt gewährt der Landkreis Barnim seinen Fraktionen zirka 6-mal so viel Geld wie in anderen Landkreisen üblich. Während im Landkreis Oberhavel 119 bis 311 Euro je Fraktion ausgezahlt werden, sind es im Barnim ab sofort 968 bis 1.662 Euro. Dabei ist es aber nicht etwa so, dass sich die Barnimer Fraktionen durch besondere Aktivität hervortun würden. In der laufenden Wahlperiode haben sie 57 Beschlussvorlagen in den Kreistag eingebracht, ihre Kollegen in Oberhavel 71. Ich rief die Parteien zu Mäßigung und Zurückhaltung auf. Dem Vertreter der CDU, Thomas Jacobs, der sich beklagt hatte, dass es seiner Partei angesichts der bescheidenen Entlohnung schwer falle, neue Leute zu gewinnen, schlug ich vor, in Verhandlungen mit BVB / Freie Wähler zu treten. Wir wären bereit, 3 Kreistagssitze der CDU zu übernehmen und durch eigene motivierte und kompetente Leute zu besetzen.
Ob es diese kleine Pointe oder blanker Hass angesichts der für die Parteien peinlichen Diskussion war – es lässt sich nicht mehr klären, was in André Stahl (Linke) die Wut derart hochkochen ließ, dass er sich in seinem Redebeitrag eine Entgleisung nach der anderen leistete. Zunächst brachte er seinen Stolz auf sich und seine Fraktion darüber zum Ausdruck, dass er während meiner Redebeiträge nicht den Saal verlasse sondern diese „Polemik“ ertrage. Er warf mir vor, dass ich von Fraktionsarbeit so viel Ahnung hätte, „wie Blinde von Farben“ und nur wütend darüber sei, dass wir nicht so viele Stimmen erhalten hätten, um eine Fraktion zu bilden. Andere Vertreter der großen Parteien verteidigten den höheren Geldbedarf mit dem wissenschaftlichen Sachverstand, den sie sich einholen müssten, um Vorlagen verständig zu bearbeiten.
In meiner Erwiderung wies sich darauf hin, dass beispielsweise die Stadt Potsdam, in deren Stadtverordnetenversammlung die Linke die größte Fraktion stellt, derzeit eine Verfassungsbeschwerde gegen die Heraufsetzung der Fraktionshürde von 2 auf 4 Mandatsträger führt. Es ist befremdlich, mit derartiger Verachtung quittiert zu werden, wenn man sich erlaubt, sich in gleichem Sinne zu äußern, wie die Parteifreunde des Herrn Stahl. Im Übrigen zeugt es von einem kruden Demokratieverständnis, mir und der Gruppe von BVB / Freie Wähler das Recht abzusprechen, über die Vorlage sachverständig zu entscheiden, weil wir keine Fraktion seien. Entscheidungsrecht und –Pflicht liegen beim Kreistag und dort darf sich jeder Mandatsträger äußern. Natürlich beschloss die Mehrheit die Erhöhung.
Antiaggressionstrainig
Die Fraktion der Linken hat beantragt, 30.000 Euro für die Durchführung von Antiaggressionskursen für jugendliche Gewalttäter auszugeben. Diese Gelder seien nötig, um die Auflagen der Jugendgerichte auf Kosten des Landkreises durchführen zu können. Johannes Madeja wies in seinem Redebeitrag darauf hin, dass es üblich und richtig ist, jugendliche Gewalttäter (es ging nicht um Fälle der Kleinstkriminalität sondern um Fälle einfacher, gefährlicher und schwerer Körperverletzung) mit körperlicher Arbeit zu beauflagen und es daher nicht Sache des Landkreises sondern der Justizverwatung sei, ggf. solche Mittel bereit zu halten. Obwohl dies gängige Praxis seit Jahrzehnten ist, brach hierauf ein Sturm der Entrüstung los. Ein geifernder, hämischer Pöbelsturm erfasste die allermeisten Fraktionen. Die unglaubliche Entgleisung „Arbeit macht frei!“ in Form eines nicht zuordbaren Zwischenrufes machte die Runde. Unverständlicher Weise wurde die Verwendung dieses nationalsozialistischen Vokabulars vom Kreistagsvorsitzenden Schulz (Linke) nicht geahndet. Hierauf ergriff ich das Wort und bat die übrigen Kreistagabgeordneten darum, zu der von ihnen eingeforderten Sachlichkeit zurückzukehren. Es kann nicht sein, dass Redebeiträge von Minderheiten regelmäßig im Gewitter gespielter Empörung untergehen und mit brachialem Spott und Gelächter bedacht werden. Die Kreistagabgeordneten sollen keine Rhetorik wie im Saustall an den Tag legen. Selbstredend wurde dies mit einem Ordnungsruf quittiert.
Ich werde die Angelegenheit dem Innenministerium zur Kenntnis geben. Es ist nicht hinnehmbar, dass Äußerungen, die Menschen mit Sehbehinderungen beleidigen (siehe oben) oder NS-Vokabular wiedergeben, ungeahndet bleiben, ich hingegen ermahnt werde, wenn ich einfordere, angesichts eben dieser Rhetorik nicht in einen Saustall abzugleiten. Offensichtlich bekam die Märkische Oderzeitung diesen ungeheuerlichen Zwischenruf nicht mit und richtet ihre Kritik leider an die falsche Stelle.
Abfallentsorgungssatzung
Ein gutes Beispiel, wie die Fraktionen ihre üppigen Gelder für die angebliche wissenschaftliche Arbeit verwenden, konnte man bei der Diskussion um die Abfallentsorgungssatzung erleben. Der stellv. Vorsitzende des zuständigen Ausschusses für Landwirtschaft, Umweltschutz und Abfallwirtschaft, Gert Adler (zugleich stellv. Fraktionsvorsitzender der SPD), lobte, wie intensiv man diese qualitativ hochwertige Satzung diskutiert habe und welch vorzügliches Produkt entstanden sei. Dann ergriff Johannes Madeja das Wort und zeigte, was es wirklich heißt, sich fachlich fundiert mit der Materie auseinander zu setzen. Nach und nach reihte er Verstöße gegen gesetzliche Bestimmungen in der Satzung auf und unterbreitete 9 konkrete Änderungsanträge. Es war interessant zu sehen, wie wenig die mit stattlichen Fraktionsgeldern und entsprechend wissenschaftlicher Sachkenntnis ausgestatteten Parteien den inhaltlichen Einwänden von Johannes Madeja entgegensetzen konnten. Zugleich war es höchst interessant, zu sehen, was so alles an fachlicher Auseinandersetzung möglich ist, obwohl wir keine Fraktionsgelder erhalten und nach Einschätzung von Herrn Stahl hiervon auch keine Ahnung haben. Angesichts der fachlichen Erläuterungen wurde die gesamte Abfallentsorgungssatzung zurückgestellt und in den kommenden Kreistag verwiesen.
Natürlich durften trotz der offensichtlichen Blamage die obligatorischen Zwischenrufe, wir hätten uns in den Ausschüssen einbringen sollen, nicht fehlen. Schon wieder stöhnten und gähnten jene Abgeordnete, die sonst rein gar nichts zur inhaltlichen Diskussion beizutragen haben. Erneut musste ich also klarstellen, dass wir weder Rede- noch Antragsrecht in den Ausschüssen haben. Zu Beginn der Wahlperiode des Kreistages haben wir den Antrag gestellt, auch in den Ausschüssen vertreten sein zu dürfen. Dies wurde seinerzeit durch eben jene abgelehnt, die uns nun den Vorwurf machen, wir würden dort nicht mitarbeiten. Ein schäbiges Vorgehen, welches die Menschenverachtung sehr deutlich zum Ausdruck bringt. Wenn ein Kreistagmitglied zudem meint, dass ihn Diskussionsbeiträge im höchsten Gremium des Landkreises nerven und er die demokratische Auseinandersetzung scheut, muss er sein eigenes Verhältnis zum Mandat hinterfragen und sollte so viel Anstand besitzen, seinen Wählern offen zu sagen, wie er seine Rolle im Kreistag sieht.
Abschließende Bewertung
Bezüglich der genannten und einiger hier nicht aufgeführten, noch zu prüfenden brisanten Äußerungen wird es durch unsere Kreistagsgruppe einen Beschwerdebrief an den Vorsitzenden des Kreistages und das Innenministerium geben. BVB / Freie Wähler wird nicht tatenlos zusehen, wie die Parteien das in uns gesetzte Wählervertrauen durch diskriminierende Äußerungen zu unterlaufen suchen. Das hohe Gut der Demokratie erfordert eine kritische Debattenkultur, die nicht der Bierlaune mancher angenervter Parteipolitiker geopfert werden darf.
Aktuell: Leserbriefe zur Kreistagsdebatte
Inzwischen hat die Märkische Oderzeitung einige Leserbriefe zur jüngsten Debatte im Barnimer Kreistag veröffentlicht. Dabei ist auch mein Hinweis auf den Grund meines Vorwurfs erschienen, womit die Diskussion in gerechter Weise entzerrt wurde.