Seit Ende der Woche besteht Klarheit. Das Bundesverwaltungsgericht hat seine umfangreiche Urteilsbegründung in Sachen Altanschließerbeiträgen und den an ihrer Stelle erhobenen gespaltenen Gebühren vorgelegt. Und diese liest sich wie eine Generalabrechnung mit der Brandenburger Beitrags- und Gebührenpraxis.
Wie erinnerlich, hatte BVB / FREIE WÄHLER jahrelang vor der Praxis mancher Abwasserverbände gewarnt. So haben diese – nachdem sie vom Bundesverfassungsgericht verpflichtet worden sind, verfassungswidrig erhobene Altanschließerbeiträge zurückzuzahlen – das Modell der „gespaltenen Gebühren“ erfunden. Hiernach sollten diejenigen, die sich die Altanschließerbeiträge gerichtlich zurückerkämpft hatten, nun mittels höheren Abwassergebühren zur Kasse gebeten werden. Das Ziel: Den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts zu umgehen und Altanschließerbeiträge durch einseitig höhere Gebühren doch einzutreiben.
Immer wieder formulierte BVB / FREIE WÄHLER hieran Kritik im Landtag. Von der Landesregierung wurde diese jedoch stets abgetan. Das Vorgehen der Verbände sei rechtmäßig. Doch nicht nur das. Die Landesregierung befeuerte dies sogar, indem sie mittels Rundschreiben im Jahr 2020 die Abwasserverbände explizit aufforderte, höhere Gebühren für jene Bürger zu erheben, die sich erfolgreich gegen die verfassungswidrigen Altanschließerbeiträge gewehrt hatten (Rundschreiben MIK vom 31.08.2020, Seite 5).
Nun zeigt sich: Die Landesregierung hat die Verbände zu einem grob rechtswidrigen Verhalten angestiftet. Denn in der nun vorliegenden Begründung stellt das Gericht fest, dass die vorangegangene Entscheidung, die die gespaltenen Gebühren verteidigte, „gegen [… den] verfassungsrechtlichen Grundsatz des Vertrauensschutzes […] und den allgemeinen Gleichheitssatz [verstößt]“ (BVerwG 9 CN 3.22, Urteil vom 17.10.2023, Rn. 17). Hiernach ist der verfassungsrechtliche Grundsatz des Vertrauensschutzes so zu verstehen, dass die Betroffenen „nicht nur keine Beiträge mehr zahlen, sondern auch über Benutzungsgebühren nicht zur Deckung der Herstellungskosten beitragen […] müssen“ (a.a.O., Rn. 26).
Damit ist ein weiterer Versuch, Altanschließerbeiträge durch die Hintertür zu erheben, krachend gescheitert. Die gesamte Wahlperiode hat die Koalition dabei zugeschaut und ist nicht gegen die so handelnden Verbände vorgegangen. Noch in der Landtagssitzung am 19.10.2023 maßregelte Innenminister Stübgen das Bundesverwaltungsgericht, dass es zunächst noch keine vollständige Begründung des Urteils vorgelegt hatte. Diese liegt nun vor und zeigt auf, dass viele Verbände – unterstützt durch die Landesregierung – weiter zulasten der Altanschließer rechtswidrig gehandelt haben.
Dabei geht das Bundesverwaltungsgericht sogar noch weiter und stellt fest, dass „der beschriebene Eingriff […] einer echten Rückwirkung [nahekommt]“ (a.a.O., Rn. 37) und „nicht in einer den Anforderungen des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit genügenden Weise durch Gemeinwohlbelange gerechtfertigt [ist]“. Das Gericht sieht in dem Vorgehen schließlich eine „schwerwiegende Ungleichbehandlung“ (a.a.O., Rn. 50). Eine schallende Ohrfeige für die Landesregierung und ihre Vorgänger, werden ihr doch Verstöße gegen fundamentalste Grundsätze des Rechtsstaates und der Gerechtigkeit vor Augen geführt.
Hierzu erklärt Gruppensprecher Péter Vida: „Die Tortur der Altanschließer muss ein Ende haben. Der Versuch, die Beiträge durch die Hintertür einzutreiben, ist erneut gescheitert. Dabei musste das Bundesverwaltungsgericht den Verbänden schon wieder grundlegende Prinzipien des Rechtsstaates ins Stammbuch schreiben. Es ist an der Zeit, dass endlich alle Betroffenen entschädigt werden.“
Dazu wird BVB / FREIE WÄHLER zur kommenden Landtagssitzung eine Dringliche Anfrage einbringen. Diese soll Aufschluss darüber geben, wann das Innenministerium das offenkundig rechtsfehlerhafte Rundschreiben zurücknimmt. Für die Plenarsitzung im Februar wird BVB / FREIE WÄHLER zudem einen Antrag auf Entschädigung der rechtswidrig geschröpften Anschlussnehmer aus dem Landeshaushalt stellen.
„Wir brauchen endlich sozialen Frieden. Manche Bürger kämpfen seit fast 15 Jahren gegen behördliches und legislatives Unrecht. Die obersten Gerichte haben ihnen Recht gegeben. Sie haben wahrlich Rechtsfrieden verdient“, so Péter Vida abschließend.
Nach unterschiedlichen Schätzungen kommt das Urteil ca. 50.000 Haushalten zugute.
Lesen Sie das vollständige Urteil des Bundesverwaltungsgerichts hier:
https://www.bverwg.de/de/171023U9CN3.22.0